News

EuGH-Urteil: Haftung des Verantwortlichen für den Auftragsverarbeiter – was gilt es zu beachten?

Mit der Entscheidung zur Rechtssache C-683/21 (Covid-App Litauen) hat der EuGH am 5. Dezember 2023 ein wichtiges Urteil gefällt, in dem es neben der Frage der Verantwortlichkeit auch um die (Bußgeld)Haftung des Verantwortlichen für den Auftragsverarbeiter geht. Letzteren Aspekt möchten wir in diesem Beitrag genauer darstellen.

Hintergrund

Im Rahmen der Corona-Pandemie beauftragte der Gesundheitsminister der Republik Litauen den Direktor des Nationalen Zentrums für öffentliche Gesundheit (NZÖG) mit dem Erwerb eines IT-Systems zur Erfassung und Überwachung der Daten von Personen im Rahmen der Corona-Pandemie. Ein Mitarbeiter des NZÖG schrieb ein IT-Unternehmen an und teilte diesem mit, dass das NZÖG dieses Unternehmen für die Entwicklung einer mobilen Anwendung zur epidemiologischen Überwachung ausgewählt habe. In der Folge übersendete der Mitarbeiter weitere E-Mails an dieses IT-Unternehmen mit verschiedenen Aspekten zur Entwicklung der App. Zudem wurde eine Datenschutzerklärung erstellt, in der sowohl das IT-Unternehmen als auch das NZÖG als Verantwortliche genannt wurden. Ein Vergabeverfahren wurde nie durchgeführt und am Ende wurde die App auch nicht gekauft. In dem Vorlageverfahren ging es um die Frage der Verantwortlichkeit in Bezug auf die in der App stattfindende Verarbeitung personenbezogener Daten sowie um die Haftung eines Verantwortlichen für die Verarbeitung durch einen Auftragsverarbeiter.

Entscheidung des EuGH zur Haftung des Verantwortlichen für den Auftragsverarbeiter

Zunächst stellt der EuGH fest, dass eine Haftung des Verantwortlichen nach Art. 83 Abs. 2 DSGVO nur dann möglich ist, wenn dieser schuldhaft, also vorsätzlich oder fahrlässig, gegen die Bestimmungen der DSGVO verstoßen hat (Rn. 73, 80).

Zudem ist der Verantwortliche auch für die in seinem Namen erfolgenden Verarbeitungen verantwortlich, die durch einen Auftragsverarbeiter durchgeführt werden. Insofern kann auch dann gegen ihn eine Geldbuße nach Art. 83 DSGVO verhängt werden, wenn personenbezogene Daten durch einen Auftragsverarbeiter unrechtmäßig verarbeitet werden, der im Namen des Verantwortlichen handelt (Rn. 84).

Dieser Grundsatz wird nach Ansicht des EuGH in folgenden Fallgruppen durchbrochen, da der Auftragsverarbeiter in solchen Konstellationen gemäß Art. 28 Abs. 10 DSGVO als Verantwortlicher gilt (Rn. 84 f.) (Anmerkung: Die dargestellten Beispiele stammen nicht vom EuGH, sondern wurden durch uns zur besseren Veranschaulichung ergänzt):

  1. Auftragsverarbeiter verarbeitet die Daten für eigene Zwecke.
  • Beispiel: Der Verantwortliche beauftragt einen Personalvermittlungsdienst als Auftragsverarbeiter mit der Suche von geeigneten Bewerbern. Dabei legt der Verantwortliche die Zwecke und Mittel eigenständig fest. Wenn der Auftragsverarbeiter die Daten der Bewerber jedoch auch für den Aufbau eines eigenen Bewerberpools verwendet, liegt eine Verarbeitung zu eigenen Zwecken vor und dieser gilt gemäß Art. 28 Abs. 10 DSGVO nicht mehr als Auftragsverarbeiter, sondern als Verantwortlicher.
  1. Datenverarbeitung durch den Auftragsverarbeiter ist nicht mit dem vom Verantwortlichen festgelegten Rahmen / vorgegebenen Modalitäten der Verarbeitung vereinbar.
  • Beispiel: Der Verantwortliche beauftragt einen Softwareentwickler mit der Entwicklung einer App zur epidemiologischen Überwachung und gibt vor, dass nur die Namen und die geografischen Koordinaten der betroffenen Personen verarbeitet werden dürfen. Wenn der Auftragsverarbeiter nun entgegen dieser Vorgabe, z.B. auch die E-Mail-Adresse oder die Ausweisnummer erhebt, handelt dieser gemäß Art. 28 Abs. 10 DSGVO als Verantwortlicher und nicht mehr als Auftragsverarbeiter.
  1. Datenverarbeitung durch den Auftragsverarbeiter erfolgt in einer Weise, bei der vernünftigerweise nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Verantwortliche ihr zugestimmt hätte.
  • Beispiel: Der Verantwortliche beauftragt einen Auftragsverarbeiter damit, Werbeanzeigen für Glücksspiele an einen vordefinierten Adressatenkreis auszuspielen. Der Auftragsverarbeiter spielt die Werbeanzeigen überwiegend an Minderjährige aus und verstößt damit gegen § 5 Abs. 2 Glücksspielstaatsvertrag 2021. Vernünftigerweise ist davon auszugehen, dass der Verantwortliche nicht mit der Anzeige von Werbung gegenüber Minderjährigen einverstanden war, auch wenn er dies nicht explizit vorgegeben hat. Der Auftragsverarbeiter ist somit auch in diesem Beispiel gemäß Art. 28 Abs. 10 DSGVO als Verantwortlicher anzusehen.

 

Auswirkungen für die Praxis

Auch wenn der EuGH in seinem Urteil nur allgemeine Grundsätze aufstellt und keine konkreten Vorgaben definiert, lassen sich für die Praxis dennoch wichtige Schlussfolgerungen ableiten.

Auswahl des Auftragsverarbeiters

Art. 28 Abs. 1 DSGVO gibt bereits vor, dass der Verantwortliche nur mit Auftragsverarbeitern zusammenarbeiten soll, die hinreichend Garantien dafür bieten, dass geeignete technische und organisatorische Maßnahmen (TOM) so durchgeführt werden, dass die Verarbeitung im Einklang mit der DSGVO erfolgt. Nach der Entscheidung des EuGH gilt dieser Grundsatz umso mehr, da dem Verantwortlichen bei jeglichen Verstößen durch den Auftragsverarbeiter ein Bußgeld gemäß Art. 83 DSGVO droht, also grundsätzlich auch dann, wenn ein Verstoß gegen die DSGVO trotz der implementierten TOMs des Auftragsverarbeiters erfolgt. Insofern sollte bereits bei der Auswahl des Auftragsverarbeiters darauf geachtet werden, dass dieser hinreichend Garantien für ein rechtskonformes Verhalten bietet und diese Garantien vertraglich so eindeutig wie möglich bezeichnet werden. Denn wenn der Verantwortliche nachweisen kann, dass der Auftragsverarbeiter z.B. eine der vereinbarten TOMs tatsächlich gar nicht oder nur unzureichend implementiert hat, kann er sich enthaften, da die Verarbeitung entgegen den Modalitäten im AVV stattgefunden hat.

Haftung des Verantwortlichen als Auftraggeber

Der EuGH stellt klar, dass der Verantwortliche stets für die Verarbeitung durch den Auftragsverarbeiter haftet, wenn dieser im Namen des Verantwortlichen tätig wird. Das bedeutet, dass der Verantwortliche stets haftet, wenn der Auftragsverarbeiter gegen die DSGVO verstößt, solange seine Tätigkeit vom Auftragsverarbeitungsvertrag (AVV) gedeckt ist, er also die Daten zu den im AVV genannten Zwecken und mit den dort vorgesehenen Mitteln verarbeitet.

Klare Ausgestaltung des Auftragsverarbeitungsvertrages

Die Zwecke und die Modalitäten der Verarbeitung sollten so eindeutig wie möglich in dem Auftragsverarbeitungsvertrag (AVV) geregelt werden. Auf diese Weise lässt sich für den Verantwortlichen nämlich leicht nachweisen, wenn der Auftragsverarbeiter die Daten zu eigenen Zwecken oder entgegen dem AVV verarbeitet und damit nach Art. 28 Abs. 10 DSGVO als Verantwortlicher gilt. Darüber hinaus kann die Haftung des Verantwortlichen klar auf die im AVV dargestellten Arten der Verarbeitung begrenzt werden. Zudem sollten Weisungen, wie sich bereits aus Art. 28 Abs 3 lit. a) DSGVO ergibt, stets dokumentiert werden, damit dem Verantwortlichen bei möglichen Rechtsstreitigkeiten der Nachweis der Enthaftung gelingt.

 

Rechtsanwalt, Senior Associate
Alexander Weiss
Rechtsanwalt, Senior Associate
Alexander Weiss

Zurück

News

Neue Zweifel an der Wirksamkeit des EU-U.S. Data Privacy Framework

Der LIBE-Ausschuss vom Europäischen Parlament hat am 6. Februar 2025 die Kommission darauf hingewiesen, dass das unter dem EU-U.S. Data Privacy Framework („DPF“) geschaffene Privacy and Civil Liberties Board nur noch mit einer Person besetzt ist (siehe dazu auch den Artikel bei Bloomberg). Die anderen Board-Mitglieder wurden von der Exekutive in den USA abberufen. Der Ausschuss bittet die Kommission eine dokumentierte Prüfung zur Verfügung zu stellen, die sich mit den Auswirkungen dieser Änderung befasst. Das ist nachvollziehbar, weil eigentlich ein wirksamer und Art. 47 der Charta der Grundrechte der EU entsprechender Rechtsbehelf notwendig ist, um von einer Angemessenheit des Schutzniveaus auszugehen. Im folgenden Abschnitt beantworten wir Fragen, die sich Unternehmen aus der EU jetzt vermehrt stellen werden.

Neue Vorgaben zur Barrierefreiheit auf Websites und in Apps: Ein Überblick zu den Vorschriften des BFSG

Philip Schweers hat in der aktuellen Ausgabe 09/2025 des "Betriebs-Beraters" die nach dem 28. Juni 2025 geltenden Anforderungen des Barrierefreiheitsstärkungsgesetz für Websites und Apps zusammengefasst.

Der Beitrag beschreibt ausführlich für welche Websites und Apps das BFSG gilt, welche Anforderungen bei dessen Umsetzung beachtet werden müssen und welche Konsequenzen bei Verstößen drohen.

Den Beitrag finden Sie hier als PDF zum freien Abruf.

Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (Teil 4) – Folgen von Verstößen gegen das BFSG

Ab dem 29. Juni 2025 gelten die Vorgaben des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes (BFSG). Um Sie rechtzeitig auf das BFSG vorzubereiten, befassen wir uns in unserer Beitragsreihe mit dessen Anforderungen. In Teil 1 haben wir uns einen kurzen Gesamtüberblick zum BFSG verschafft. In Teil 2 und Teil 3 haben wir uns angesehen, ob und welche Anforderungen aus dem BFSG für ihre Websites und Apps gelten. In Teil 4 befassen wir uns damit, was passiert, wenn ein Dienstleister, (z.B. der Anbieter eines Onlineshops) gegen die Vorgaben des BFSG verstößt und wie dieser sich gegen mögliche Rechtsfolgen wehren kann.

Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (Teil 3) – Was bedeutet Barrierefreiheit für meine Website oder App?

Nachdem wir uns in Teil 2 unserer Beitragsreihe zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) damit befasst haben für welche Apps und Websites das BFSG gilt, stellen wir Ihnen in Teil 3 vor, welche konkreten Anforderungen an die Barrierefreiheit gelten.

LG Nürnberg-Fürth: Zugangsdaten, Passwörter und Datenbank mit öffentlich verfügbaren Informationen als Geschäftsgeheimnisse

Im Bereich Geschäftsgeheimnisschutz ist es besonders relevant, dass Inhaber eines Geschäftsgeheimnisses diese mit angemessenen Maßnahmen geheim halten. Damit eine Information überhaupt ein Geschäftsgeheimnis i.S.v. § 2 Nr. 1 GeschGehG sein kann, dürfen die relevanten Informationen u.a. weder allgemein bekannt noch ohne Weiteres zugänglich sein. Das LG Nürnberg-Fürth hat am 27.12.2024 (Az. 19 O 556/24) entschieden, dass sowohl eine Datenbank mit öffentlich verfügbaren Daten als auch die Zugangsdaten und Passwörter für den Zugriff auf diese Datenbank als Geschäftsgeheimnisse gelten. Es wurde außerdem entschieden, dass dem Kläger ein Auskunftsanspruch aus § 8 Abs. 1 GeschGehG zustand und die dabei zur Mitteilung von Namen und Anschriften der an der Verletzung des Geschäftsgeheimnisses beteiligten Personen erforderliche Rechtsgrundlage aus der DSGVO vorlag.

Fachbeitrag: Berechtigte Interessen als Rechtsgrundlage für das Training von KI-Modellen

Alexander Weiss & Dr. Carlo Piltz haben im aktuellen Heft 12/2024 der Zeitschrift DATENSCHUTZ-BERATER die praxisrelevante Frage untersucht, ob und wann die Rechtsgrundlage des Art. 6 Abs. 1 f) DSGVO (Interessenabwägung) für die Verwendung personenbezogener Daten zum Zweck des Trainings von KI-Modellen genutzt werden kann.